Die neue Wehrbeauftragte Eva Högel (SPD) bringt die Wiedereinführung der Wehrpflicht zurück in die Debatte. AKK greift den Ball dankbar auf und kramt die Idee eines sozialen Pflichtjahrs wieder aus der Schublade. Unter dem Strich würde das dem sozialen Engagement in Deutschland aber eher schaden. Wir sollten lieber die Freiwilligendienste ausbauen und stärken.
Es könnte alles so schön einfach sein: Ab Sommer 2021 führen wir einfach ein soziales Pflichtjahr ein, alle Schülerinnen und Schüler leisten dann nach dem Abschluss einen sozialen Dienst, lernen soziales Engagement kennen und wertschätzen und bringen sich am besten noch darüber hinaus ihr ganzes Leben lang für andere ein. Soweit die Theorie.
So oder so ähnlich muss die Ideenfindung wohl im Konrad-Adenauer-Haus in den letzen eins, zwei Jahren abgelaufen sein. Größte Befürworter*innen dieses Vorschlags war dabei allen voran die scheidende CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer, unterstützt von z.B. ihrem Generalsekretär Paul Ziemiak, Staatssekretär Peter Tauber, Nachwuchspolitiker Amthor oder JU-Chef Tilmann Kuban.
Vergangenes Wochenende ploppte die Debatte dann wieder auf, verbunden mit der völlig aus der Luft gegriffenen Idee der neuen Wehrbeauftragten Eva Högel (SPD), doch wieder die Wehrpflicht einzuführen. Es ist halt Sommerloch.
Just reagierte Noch-CDU-Chefin AKK und spiegelte Skepsis – jedoch mit dem Vorschlag, doch lieber ein allgemeines „Deutschlandjahr“ zu prüfen. Ein Vorschlag, der noch immer in der Schublade schlummert. Und sie präsentierte dabei gleich einen neuen Freiwilligendienst für die Bundeswehr – obwohl ein freiwilliger Wehrdienst ja eigentlich schon möglich ist.
Hohe verfassungsrechtliche Hürden für ein Pflichtjahr
Formen von Zwang zum Arbeitseinsatz sind in Deutschland verfassungsrechtlich höchst umstritten. Das hat v.a. auch historische Gründe mit Erfahrungen aus der NS-Zeit, die wohl kaum ein näheren Erläuterung bedürfen.
Die Einführung eines sozialen Pflichtdienstes erscheint aktuell mit Artikel 12 & 12a Grundgesetz nur schwer vereinbar. So kommt selbst der wissenschaftliche Dienst des Bundestages in einer Ausarbeitung zu dem Schluss: „Art. 12 Abs. 2 und 3 bilden ein einheitliches Grundrecht der Freiheit von Arbeitszwang und Zwangsarbeit“.[1] Derzeit wäre auch die Einführung eines sozialen Pflichtdienstes grundgesetzlich nur in einer Form als „Ersatzdienst“ zu einem Wehrdienst möglich – alleine nicht. Deshalb wird – gerade auch von konservativeren Kreisen der Union und – beides auch immer in einem Atemzug genannt. Eines bleibt also klar: Ohne eine äußerst umstrittene Grundgesetzänderung, die erstmalig seit 70 Jahren wieder eine Form von Arbeitszwang ermöglichen würde, geht es nicht.[2] Darüber herrscht auch unter vielen Verfassungsrechtler*innen Einigkeit. Mit einer losgelösten sozialen Dienstpflicht (ohne Wehrdienst) stünde Deutschland übrigens international ziemlich alleine da, ein ähnliches Konzept gibt es bisher nur im sozialistischen Venezuela.Und ob man eine für die Grundgesetzänderung notwendige 2/3-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat bekommen würde, ist eine ganz andere Frage.
Eine ganz schön teure Angelegenheit
Zudem wäre die Einführung eines Pflichtdienstes wohl mit erheblichen Kosten verbunden. Für das Konzept des „Service National Universel“, einem einmonatigen „nationaler Pflichtdienst“, der gerade in Frankreich eingeführt wird, fallen jetzt bereits Kosten von knapp 2 Milliarden Euro für den Haushalt an.[3] Und hier reden wir von einem einzigen (!) Pflichtdienstmonat.
Für ein ganzes Jahr, für einen bundesweiten Jahrgang von Schulabsolvent*innen, reden wir von ganz anderen Dimensionen. Hochgerechnet auf Grundlage von Daten aus der Ära des Zivildienstes (z.B. damaligen Kosten pro Zivi, dem aktuellen Verbraucherpreisindex und aktuellen Geburtenrate) werden sogar Kosten von 13-14 Milliarden Euro pro Jahr kolportiert, von denen ca. 8 Mrd. vom Staat und über 5 Milliarden von den Einsatzstellen getragen werden müssten – die hierfür absolut nicht ausreichend Mittel haben.[4]
Zudem würden indirekte Folgekosten entstehen, die nicht zu unterschätzen sind. So würde bspw. ein gesamter Jahrgang aus dem Arbeitsmarkt genommen und würde keine Einkommenssteuern zahlen, keine Sozialabgaben (Rentenversicherung etc.) und die Einkommensbiografie verschiebt sich. Das führt in der Folge zu Steuermindereinnahmen, Rückgängen in den Sozialkassen und weniger gesparten Vermögen. Eine Berechnung aus dem Jahr 2000 berechnete die so entstehenden „Opportunitätskosten“, die damals noch durch den Wehrdienst entstünden, auf ca. 6 Milliarden Euro hoch.[5]
Die Realität lässt keinen Mangel am Engagement junger Menschen erkennen
Die Notwendigkeit eines sozialen Pflichtdienstes lässt sich zumindest nicht damit begründen, dass „junge Menschen“ sich weniger engagieren. So ergeben z.B. die Daten des letzten nationalen Freiwilligensurveys von 2014, dass die 14-29 Jährigen sich mit 47% aller Befragten sogar mehr bürgerschaftlich engagieren als der Gesamtschnitt über alle Altersgruppen hinweg. Dieser liegt bei 43,6% [6]. Diese Ergebnisse werden auch vom gerade veröffentlichen, „Dritten Engagementbericht der Bundesregierung“ gestützt, der sich diesmal mit „jungem Engagement im digitalen Zeitalter“ auseinandergesetzt hat. Hier gaben sogar 63% der Befragten zwischen 14 und 27 Jahren an, sich in den letzten 12 Monaten gesellschaftlich engagiert zu haben.[7] Die 18. Shell-Jugendstudie kommt zwar zu dem Ergebnis eines ganz leicht rückläufigen Engagements, jedoch nur in Teilbereichen.[8] Und eine Studie der Heinrich-Böll-Stiftung & Otto-Brenner-Stiftung zeigt das hohe Mobilisierungspotenzial, das die Fridays For Future Bewegung für das Engagement von jungen Menschen entfaltet hat: 40% der befragten Schüler*innen demonstrieren hier das erste Mal in ihrem Leben, etwa 2/3 bringen sich aber darüber hinaus nun auch noch in anderen Organisationen ein.[9] Zukunft und Zustand des jugendlichen Engagements sind also alles andere als desaströs.
Sozialer Zwangsdienst führt genau zum Gegenteil: Weniger Motivation für (langfristiges) Engagement
Wahrscheinlich mit der wichtigste Grund gegen einen Pflichtdienst ist jedoch, dass dieser nicht nur nicht notwendig ist (s.o.) sondern sogar kontraproduktiv für das durchaus nachvollziehbare Ziel, soziales Engagement auszuweiten und zu verstärken.
Engagement lebt von Freiwilligkeit und der Motivation aus sich selbst heraus, sich für andere/die Gesellschaft oder Umwelt zu engagieren – und nicht von Zwang. Bereits mit dem Ende des Zivildienstes als Folge der Aussetzung der Wehrpflicht wurde diese Diskussion ja bereits geführt und sich bewusst gegen die Einführung eines Pflichtdienstes entschieden.[10] Der Vergleich zeigt auch: Trotz des Zivildienstes waren früher nicht mehr junge Menschen sozial engagiert außerhalb ihrer Dienstzeit. Die Idee Jugendlich auch darüber hinaus mit einer Dienstpflicht für soziales Engagement zu begeistern ist in der Realität bereits damals gescheitert. Zudem deuten Studienergebnisse darauf hin, dass es sogar umgekehrt sein könnte: Ergebnisse aus Australien und den USA deuten an, dass Formen von Verpflichtung zu sozialer Arbeit mittelfristig zu weniger Engagement führen.[11]
Und zu guter Letzt frage ich mich, ob irgendjemand derer, die einen Pflichtdienst diskutieren, mal wirklich mit den betroffenen Organisationen aus der Praxis gesprochen haben. So sind bspw. alle großen Wohlfahrtsverbände in Deutschland, die jetzt schon den größten Teil der Freiwilligendienstleistenden im sozialen Bereich engagieren, klar gegen eine allgemeine Dienstpflicht.[13] [14] [15] [16] [17]
Oder wie Ulrich Schneider, Chef des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes einmal im Interview gesagt hat: „Wir brauchen Menschen, die da wirklich Bock drauf haben. Menschen, die Lust haben, die soziale Ader haben. Die hier eine Erfahrung machen wollen. Was wir nicht brauchen sind 700.000 Jugendliche pro Jahr, von denen die Hälfte überhaupt nicht weiß, was sie bei uns soll.“[18]
Fürs Protokoll
Und eines noch, weil es mir wichtig ist: Freiwilligendienste – genauso wie ein Pflichtdienst – können nicht die Probleme lösen, die wir ganz grundsätzlich im sozial-karitativen Bereich haben. Für die Behebung des Pflegenotstandes brauchen wir besser Bezahlung, attraktive Ausbildung, bessere Bedingungen, mehr Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder den Abbau von Verhinderungstatbeständen für Migrant*innen, die gerne in der Pflege arbeiten wollen aber nicht dürfen. Dasselbe gilt für Kindertagesstätten, Behindertenwerkstätten, soziale Arbeit usw.. Es kann doch nicht sein, dass nur weil wir im Dritten Sektor unsere politischen Hausaufgaben nicht erfüllt bekommen, ein Zwangsdienst die Patentlösung sein soll.
Ausblick: Was wir brauchen sind endlich gut ausgestattete Freiwilligendienste
Was wir brauchen, sind endlich genug Plätze in den Freiwilligendienste und eine angemessene Ausstattung. Bereits heute bewerben sich etwa viermal (!) so viele jungen Menschen auf einen Platz im Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ), im Ökologischen Jahr sind es sogar fünfmal so viele [19]. Das Bundesfamilienministerium geht sogar selbst davon aus, dass wir sofort bis zu 120.000 Freiwilligendienstleistende haben können, derzeit sind es etwa 100.000.[20]
Die grüne Bundestagfraktion z.B. spricht sich deswegen dafür aus, endlich dem Bedarf an mehr Plätzen gerecht zu werden und dafür die Mittel im Bundeshaushalt zu verdoppeln [21]. Das würde jährlich ca. 300 Mio. Euro kosten im Gegensatz zu den Milliardensummen, die für ein Pflichtjahr anfielen. Wir sollten erstmal der viel, viel höheren Nachfrage nach Freiwilligendienstplätzen gerecht werden, als völlig aus dem Off daher mit der Forderung nach einem Pflichtdienst zu kommen. Noch ist das Potenzial der Freiwilligen lange nicht ausgeschöpft.
Ein anderes Thema ist, dass die Freiwilligendienste zudem besser ausgestattet werden müssten: Derzeit darf ein Freiwilliger nicht mehr als knapp 410 Euro „Taschengeld“ pro Monat verdienen, der Durchschnitt liegt bundesweit bei gerade mal 150 Euro![22] Das ist – auch wenn es sich nicht um einen „Lohn“ im klassischen Sinne handelt – zu wenig, wenn man erwartet, dass junge Menschen davon teilweise leben sollen. Ein erster Schritt muss daher die Angleichung und Anhebung der Taschengelder mindestens auf Minijob-Niveau (also 450 EUR/Monat) sein – und wenn sich die Träger dies nicht leisten können, müssen Bund und Länder in die Bresche springen. Ebenso sollte kein Freiwilliger sein ÖPNV-Ticket selbst zahlen müssen: Wir brauchen freie Fahrt für Freiwillige.
Fazit:
Gegen einen Pflichtdienst spricht vieles. Wirkliches Engagement kommt aus der eigenen Motivation heraus; belegbar ist zudem, dass wir noch bei Weitem nicht das gesamte Potenzial von motivierten, jungen Freiwilligen ausgeschöpft haben.
Mit vergleichsweise wenig Einsatz und Mitteln könnten und sollten wir das tun bevor wir irgendwelche Debatten über Pflichtdienste führen, die sich die Union am Schreibtisch fernab der Praxis ausgedacht haben.
Verweise:
[3] https://www.sueddeutsche.de/panorama/frankreich-nationaldienst-universel-macron-1.4491363
[4] https://www.swp-berlin.org/publikation/allgemeiner-gesellschaftsdienst/
[5] Birkenfeld, Florian (2006): Die Wehrpflicht in Deutschland. Kosten, Vergleich, Perspektiven, S.B. Müller: Saarbrücken.
[6] Freiwilligensurvey 2014, Langfassung, S. 95-97
[8] https://www.shell.de/ueber-uns/shell-jugendstudie.html
[10] https://library.fes.de/pdf-files/stabsabteilung/02141.pdf
[11] Stukas, Arthur A./Snyder, Mark/Clary, E. Gil (1999): THE EFFECTS OF “MANDATORY VOLUNTEERISM” ON INTENTIONS TO VOLUNTEER, in: PSYCHOLOGICAL SCIENCE (10)
[12] Warburton, Jeni/Smith, Jennofer (2003): Out of the Generosity of Your Heart: Are We Creating Active Citizens through Compulsory Volunteer Programmes for Young People in Australia?, in: Social Policy & Administration (37) 7, S. 772-786
[13] https://www.awo.org/awo-lehnt-soziales-pflichtjahr-ab-1
[19] http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/19/038/1903863.pdf
[21] https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/045/1904551.pdf